Peter Forsskal

 

Gedanken über die Bürgerfreiheit

Gedanken über die Bürgerfreiheit, in: Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen, 2006: 35–39
© Gabriele Schrey-Vasara

Stockholm, gedruckt bei Direktor Lars Salvius, 1759.

§ 1. Je mehr man nach eigenem Gutdünken leben darf, desto freier fühlt man sich. Nach dem Leben kann deshalb nichts dem Menschen teurer sein als die Freiheit. Niemand gibt sie auf oder schränkt sie ein, wenn er nicht durch Gewalt und die Furcht vor einem größeren Übel dazu gezwungen wird.

§ 2. Eine Vergünstigung, die von den Menschen so hoch geschätzt wird, bedarf keiner Einschränkung, wenn alle tugendsam sind. Doch wir neigen häufig zu Lastern und Unrecht. Daher müssen uns Grenzen gesetzt werden, die Freiheit muß ihren schädlichen Teil verlieren, und allein jenes soll übrigbleiben, daß ein jeder nach äußerstem Willen tun darf, was recht ist, was anderen und ihm selbst nützt, aber niemandem schadet.

§ 3. In einer Gesellschaft, in der ein jeder hierzu berechtigt ist, besteht eine rechte Bürgerfreiheit. Zu dieser gehört also, daß niemand an dem gehindert wird, was anständig und für die Allgemeinheit nützlich ist, daß jeder Redliche in Sicherheit leben, dem guten Gewissen gehorchen, sein Eigentum nutzen und zum Wohl seiner Gesellschaft beitragen kann.

§ 4. Dieser Freiheit können stets diejenigen am gefährlichsten werden, die die Mächtigsten im Lande sind, durch Amt, Stand oder Reichtum. Nicht allein können sie die Macht, die sie besitzen, mißbrauchen, sondern auch ihre Rechte und ihre Kraft ständig ausweiten, so daß die anderen Einwohner mehr und mehr vor ihnen erbeben müssen.

§ 5. Denn es macht nicht die ganze Freiheit einer Gesellschaft aus, daß die Untertanen vor der Gewalt des Regenten geschützt sind. Dies ist ein großer Schritt, und der erste, zum allgemeinen Glück. Doch die Untertanen können auch von einander unterdrückt werden. Und in vielen Republiken, die sich mit dem liebenswerten Namen der Freiheit brüsten, sind dennoch die meisten Menschen Sklaven der Vornehmen.

§ 6. Fragt man, wessen Übermacht gefährlicher für ein Land sei, die des Regenten oder die der eigenen Mitbürger, so halte ich dafür, daß man ohne jeden Zweifel vor der ersteren am allermeisten schaudern und scheuen muß. Denn ohne diese zu beseitigen, kann jene niemals beseitigt werden. Im Namen des Alleinherrschers, und mit dessen Macht, regieren oftmals boshafte Untertanen, der Gnade der Obrigkeit unwürdig, doch gesichert durch den Genuß dieser Gnade. Auch ist es weitaus schwieriger, Abhilfe gegen die Gewalt mächtiger Regenten zu schaffen. Eine zu weitgehende Vorstellung von der Heiligkeit der Gekrönten schützt selbst die ungerechtesten Fürsten. Viele glauben, einem Menschen, der so weit über die anderen erhoben und der Gottesmacht so nahe ist, könne niemals zuviel eingeräumt werden: Die Könige in der Barbarei spielen ungestraft mit dem Leben ihrer Untertanen, da sie als Heilige angesehen werden. Die Eidverweigerer in England plagt das Gewissen, weil sie nicht treu zu einem untreuen Königsgeschlecht stehen. Und um nicht in der Ferne nach einem Exempel zu suchen: Als Schweden, während des Krieges, den König Carl der Zwölfte führte, an Menschen, Nahrungsmitteln und Geld verarmte, glaubte man dennoch, daß dieser Held sein Vaterland nicht verderbe, sondern verteidige. So erkennen die Untertanen die Ungerechtigkeit des Regenten nicht immer, und wenn sie diese erkennen, können sie sich doch nicht leicht befreien. Die Fürsten bewachen allein, wenn sie bedrängt werden, ihren Vorteil, sie walten allein über alles. Bei einem Einzigen ist der Nutzen und die Kraft des ganzen Landes versammelt. Aber wenn manche Mituntertanen von den anderen unterdrückt werden, bemerken alle die Unbilligkeit, die darin liegt; und wenn mehrere zur gleichen Zeit ihre Macht mißbrauchen, besiegt die stärkere Volksmenge leichter ihre zerstreuten Pläne und Kräfte. Die Ehrfurcht der Allgemeinheit und ihre eigene Macht gibt ihnen daher nicht genug Sicherheit. Ihr einziger Schutz ist es, das Unrecht, welches sie begehen, zu verbergen. Dieses jedoch läßt sich nicht lange verbergen, wenn ein jeder in allgemeinen Schriften gebührend über das sprechen darf, was dem allgemeinen Wohl zuwiderläuft.

§ 7. Leben und Kraft der Bürgerfreiheit liegt also insbesondere in einer eingeschränkten Regierung und einer uneingeschränkten Schreibfreiheit; einzig solches Schreiben ist zu verhindern, welches unbestreitbar unanständig ist, Lästerungen gegen GOTT oder Kränkungen gegen die Regierung oder Einzelne enthält; und welches zu offensichtlichem Laster aufreizt.

§ 8. Die Schreibfreiheit führt die Wissenschaften auf ihren Höhepunkt, enthüllt alle schädlichen Gesetze, zügelt die Ungerechtigkeit aller Beamten und ist die sicherste Verteidigung der Regierung in einem freien Reich. Sie flößt der gesamten Gemeinschaft Liebe zu einer solchen Regierungsweise ein. Man hört in England nicht leicht von gefährlichen Anschlägen gegen wohlgeordnete Grundgesetze. Unregelmäßigkeiten lassen sich dort jedoch zeitig beseitigen, allein durch eine rechtmäßige Schreibfreiheit. Dagegen haben wir vielerorten Beispiele dafür gesehen, daß, wenn eine ungleich verteilte Freiheit mit Zwang verteidigt wird, die Wildheit der Menschen leicht zu Gewalt und verzweifelten Schritten führt, dass derjenige, der zu leiden glaubt, lieber alles verliert, als ohne Neid und Mißgunst einen allzu großen Teil der gesellschaftlichen und seiner eigenen Freiheit von Seinesgleichen, von Mitbürgern rauben zu lassen. Wer wenig zu verlieren hat, setzt das Seine mit geringem Bedauern aufs Spiel, wenn er erreichen kann, daß sein Feind und Peiniger viel verliert. Das ist zwar nicht rühmlich, aber dennoch gewöhnlich, daher muß die Freiheit durch Freiheit bewahrt werden. Eine weise Regierung gibt der Allgemeinheit lieber Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit statt mit anderen Waffen mit Schreibfedern auszudrücken, welches einerseits aufklärt, andererseits Krawalle und Unruhen dämpft und verhindert.

§ 9. Es wurde oben erwähnt (§ 3), daß die Bürgerfreiheit dafür sorgt, daß jeder Redliche in Sicherheit leben, seinem Gewissen gehorchen, sein Eigentum nutzen und zum Wohl seiner Gesellschaft beitragen kann. Jeden Punkt will ich kurz erklären.
Das Gesetz gibt unserem Leben große Sicherheit, da es festsetzt, daß niemand ungestraft Gewalt gegen den Körper und die Gesundheit eines Menschen ausüben darf. Dennoch muß man Anklagen hören und oft unglückliche Todesurteile vollstrecken, auch wenn der Beschuldigte kein Verbrechen begangen hat. Denn eine Gesellschaft kann nicht ohne Gerichtshöfe bestehen, und Richter können nicht immer unparteiisch sein. Der Haß und unbändige Eifer des Volkes hat bisweilen auch den unschuldigsten Mitbürger hinfortgerückt. Keine Gefahr ist größer als diese, für das Leben und den Ruf zugleich; und wenn dies im übrigen nicht zu ändern ist, so dient die Freiheit, sich öffentlich zu verteidigen, doch dazu, den Zorn des Volkes zu dämpfen und die Richter von ??Willkür abzuschrecken. Kann auch dies nicht erreicht werden, so ist es zum mindesten die billigste Entschädigung für so großes Unrecht, daß ein unglücklich Verurteilter seinen Landsleuten darlegen kann, daß er unschuldig stirbt.

§ 10. Das Gewissen gründet sich nicht selten auf falsche Auffassungen. Welche durchaus nicht geduldet werden dürfen, wenn sie auf das Verderben der Gesellschaft und der Menschen hinauslaufen, wie die treulosen Regeln der Jesuiten. Doch zumeist können diejenigen, die ein irrendes Gewissen gefährlich zu machen scheint, gute Mitbürger werden, wenn nur die Gesellschaft sich ein wenig ihrem Irrtum anpassen mag. Die Mennoniten scheuen den Eid, doch man kann ebenso fest auf ihr Ja und Nein vertrauen. Viele von ihnen sind nicht bereit, Feinde anzugreifen, geben indes gern Geld zum Unterhalt der Soldaten. So kann das Gewissen irren, ohne die Einheit der Bürger zu stören. Ja, in dieser Freiheit ergibt sich der Irrtum nachträglich der Kraft der Wahrheit und tritt zurück, während er oftmals durch Verfolgung zu törichtem Eifer aufgestachelt wird und heftiger um sich greift, wie ein verdecktes Feuer. Schlußendlich, da nirgends alle ohne Irrtum sein können, fällt es kaum ins Gewicht, ob sie offen irren, wie in England, oder im Verborgenen, wie andernorts.

§ 11. Eigentum hat man in einer Gesellschaft teils als Angehöriger des Staates, teils als Privatmensch. Von der ersteren Art sind die öffentlichen Einkommen und was damit erworben wird, sowie die öffentlichen Dienste. Von der letzteren Art ist das, was ein jeder für sich besitzt. Beides müssen die Gesetze vor Gewalt schützen und von Mißbrauch befreien. Ein jeglicher Einwohner muß einen füglichen Teil an den öffentlichen Lasten und Vorteilen besitzen. Denn die Gesellschaft ist eine gemeinsame Sache, und die Freiheit muss es desgleichen sein. Die Landessteuern sollen deshalb nicht durch zu hohe Abgaben von einigen wenigen gesammelt werden, sondern nach dem eigenen Einkommen muß ein jeder zu den öffentlichen Einkünften beitragen. Die Hoffnung, gesellschaftliche Dienste und Ehrenämter zu bekleiden, darf einem, der dessen würdig ist, niemals genommen werden.

§ 12. Wenn beim Antritt jedes öffentlichen Postens eine geeignete Prüfung abgelegt wird; wenn diejenigen, die eine solche abgelegt haben, nur in der Reihenfolge ihrer Dienstzeit auf dem vorigen Posten in das nächsthöhere Amt aufsteigen; und wenn der erste Schritt dem gebührt, der sich zuerst als geeignet erweist; dann geraten die Ämter nicht in unwürdige Hände; dann können hohe Geburt, Geld oder Gönner den Aufstieg nicht besser fördern als Fleiß und Tüchtigkeit.

§ 13. Keine Prüfung ist leichter und zuverlässiger als ein Abhören der Kenntnisse und der Ausübung dessen, was zum Amt gehört. Dies ist üblich für die Pfarrer bei uns und für alle Beamten in China. Indes ist es keine Kunst, den Besten auszuschließen, wenn man fragen darf, was man will, und beurteilen, wie man will. Daher ist es notwendig, für jeden Posten bestimmte Wissenschaften, bestimmte Instruktionen und Verrichtungen festzulegen, für welche man verpflichtet ist, öffentlich Rechenschaft abzulegen.

§ 14. Es ist leicht zu gestatten, eigene Besitztümer zum eigenen Nutzen und zum Nutzen der Gesellschaft zu verwenden. Doch nicht alle Arten von Eigentum können von einem jeden so leicht erworben werden, wie es für die Gesellschaft günstig wäre. Niemand kann durch Arbeit oder Bezahlung Land erwerben, wo er will, obgleich viele, zum großen Schaden der Allgemeinheit, mehr besitzen als sie pflegen. Gesetze, solcherart wie die des Moses bei den Hebräern, über den angemessenen und beständigen Landanteil jedes Geschlechts, 3. Mos. 25:13-15.23.24.40.41. oder des Licinius bei den Römern über 500 ??? (257 ¼ Doppelmorgen), waren daher höchst nützlich, sowohl um die Pflege des Landes zu fördern, als auch, um die gegenseitigen Rechte der Einwohner auszugleichen.

§ 15. Nichts ist in größerem Maße unser Eigentum als die Kräfte unseres Körpers und unserer Sinne; nichts ist daher in größerem Maße recht und billig, als daß man sich mit diesen auf anständige Weise ernähren, nützliche Künste und Wissenschaften ausüben darf. Sich frei von Land- und Hüttenarbeit, Handwerk, Handel, Literatur zu nähren, muß also allen offenstehen, bis deren Menge der Gesellschaft zum Schaden gereicht.

§ 16. Vom Lande werden nützliche Arbeiter verjagt, da die Gesetze denjenigen, denen das Glück kein Stück Land zugeteilt hat, sie in den Dörfern und Hinterstuben vor nichts anderem Schutz genießen läßt als vor Gebrechen und Alter, was sie nahezu kraftlos macht. Sobald sie dem so natürlichen Freiheitsdrang folgen und ihre eigenen Herren sein wollen, fliehen sie in die Städte, wo sie leicht nach eigenem Gutdünken leben oder bequemen Dienst leisten können. Doch dort wo, nach dem Brauch Englands oder Deutschlands, ein jeglicher auch auf dem Lande Herr in seiner Hütte sein kann, da verbleiben viele Arbeiter in ihrem Heimatdorf, mehren sich, üben nützliche Gewerbe aus, verdingen sich als Helfer der Landwirte; und all dies ist viel besser, als daß sie durch die Wahl des Stadtlebens unverheiratet bleiben, verwegen und faul werden, die Wagen der Vornehmen umgeben, um den Überfluß der Reichen zu unterhalten, die Zeit mit Schlaf und Liederlichkeit vertun und sich selbst und ihrem Vaterland zur Last fallen.

§ 17. Der Entwicklung und Freiheit der Künste sollten insbesondere öffentliche Schulen dienen, wo man, so rasch Fleiß und Begriffsfähigkeit es erlauben, in allen Wissenschaften und Handwerken voll ausgebildet und ebenso rasch als Meister in dem Bereich anerkannt würde, den man versteht. Aber die Anzahl der verschiedenen Gewerbetreibenden muß nach Bedarf und Nutzen der Gesellschaft bestimmt werden.

§ 18. Dagegen sind streng geschlossene Zünfte und die langsame Unterweisung der Lehrjungen dazu angetan, Faulheit, Zwang, Menschenmangel, Liederlichkeit, Armut und Zeitvergeudung aufrechtzuerhalten.

§ 19. Selbst die sogenannten freien Künste sind in Schweden nicht frei genug. Andernorts werden sie ihrem Namen gerecht. In Deutschland darf ein jeder andere alles lehren, was er sich selbst angeeignet hat. Man müßte entweder jeden daran hindern, die Büchergelehrsamkeit zu seiner Hauptsache zu machen, oder sollte ihn dann später auch nicht hindern, in Freiheit von dem unschuldigsten Gewerbe zu leben.

§ 20. Schließlich ist es auch ein wichtiges Recht in einer freien Gesellschaft, frei zum Wohl der Allgemeinheit beitragen zu dürfen. Doch damit dies geschehe, muß der Zustand der Gesellschaft einem jeden gebührend bekannt sein, und ein jeder muß Gelegenheit haben, seine Gedanken darüber zu äußern. Wo dies fehlt, ist die Freiheit ihres Namens nicht würdig. Kriegsangelegenheiten und alles, womit Ausländer und Feinde Mißbrauch treiben können, müssen zu gewissen Zeiten verschwiegen werden und dürfen nicht vielen zur Kenntnis kommen, doch nicht wegen der redlichen Mitbürger, sondern wegen der Feinde. Umso weniger sollen Friedensangelegenheiten und Dinge, die allgemein den inwärtigen Wohlstand betreffen, den Augen der Einwohner entzogen werden. Sonst geschieht es leicht, daß nur Ausländer, die Schaden anrichten wollen, durch Gesandte und Geld alle Heimlichkeiten ausforschen, während das Volk des Landes, das guten Rat geben soll, über das meiste unwissend ist. Wenn dagegen das ganze Land bekannt ist, sehen zumindest die Aufmerksamen, was nützt oder schadet, und erklären es allen, wenn es die notwendige Schreibfreiheit gibt. Dann kann die allgemeine Beratung allzeit von der Wahrheit und der Liebe zum Vaterland geleitet werden, von dessen gemeinsamem Wohl das Wohl jedes Einzelnen abhängt. Der allerhöchste GOTT, der das Glück der Menschen hegt, möge unsere Schwedische Freiheit mehren und sie in Ewigkeit erhalten!

Aus dem Schwedischen von Gabriele Schrey-Vasara